Simon Goritschnig ist bildender Künstler und lebt zurzeit in Wien. Im Béton Bleu-Interview spricht er über den globalen Kunstmarkt, politische Kunst und warum internationale Residencies für Künstler heutzutage unerlässlich sind.
Béton Bleu: Simon, du bist bildender Künstler und damit – eigentlich automatisch – Teil eines hyperglobalen Kunstmarktes. Deine Kunst beschreibst du aber als recht „verwurzelt“. Bevor wir über den Kunstmarkt sprechen: Wie kann man sich deine Arbeiten vorstellen?
Simon Goritschnig: Als Künstler interessiert mich vor allem die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt. Letztes Jahr habe ich mich zum Beispiel intensiv mit dem botanischen Phänomen der Süntelbuche beschäftigt, einer sehr seltenen Baumart, von der es in Frankreich noch einen kleinen Wald gibt.
BB: Was ist das Besondere an diesem Wald?
SG: Letztes Jahr habe ich ins Reims gearbeitet, in der Nähe von Paris, wo es einen Süntelbuchen-Wald gibt. Der ist wirklich mythisch. Das interessante an dieser Baumart ist, dass ihre Äste verdreht oder einfach zurück in den Boden wachsen. Niemand weiß weshalb. Wegen dieses „Defekts“ ist die Süntelbuche aber industriell nicht verwertbar. In diesem Kontext wird sie sogar als “Krüppelholz” bezeichnet. Ich finde diesen Ausdruck fürchterlich, aber das Spannende ist: Genau diese “Mutation” schützt sie vor der Zerstörung. Das finde ich total interessant und habe mich länger mit diesem Phänomen beschäftigt. Ich arbeite auch viel mit Beton, widerrum dem Gegenteil von Naturromantik. Letztes Jahr habe ich ein im Wald gefundenes Rehskelett in Zement gegossen. Ich untersuche also gerne Orte, die wenig von Menschen frequentiert werden. Falls es denn so etwas überhaupt noch gibt. So oder so ähnlich kann man sich meine Kunst vorstellen.
BB: Jetzt könnte man entgegnen: In Zeiten massiver Umweltzerstörung klingt das sehr politisch.
SG: Von außen betrachtet könnte man natürlich sagen: Dieser Künstler beschäftigt sich mit dem Thema der Natur, er gilt als paradigmatisches Beispiel für a) eine Generation, die sich sehr weit von der Natur entfernt fühlt oder b) für eine gesellschaftliche Entwicklung, die mehr Verantwortungsbewusstsein und nachhaltigeres Agieren mit sich trägt. Trotzdem würde ich meine künstlerische Arbeit nicht unbedingt als politische Kunst bezeichnen. Am ehesten wird sie durch unsere Interpretation und den Kontext ihrer Entstehung zu etwas Politischem.
BB: Wie stehst du zu (dezidiert) politischer Kunst?
SG: Schwierig. Im globalisierten Kunstmarkt steckt zum Beispiel sehr viel Politik. Es gibt eine riesige Anzahl an Künstlern und Werken, die bewusst und gewollt politische Botschaften streuen. Politische Kunst ist aus unserer Kultur auch nicht wegzudenken, auch als gesellschaftliches Regulativ. Sie ist ein Mittel für mehr Bewusstsein für gesellschaftspolitische Inhalte. Da erkennt man eine Kettenreaktion: Droht ein politischer Zustand unser Leben in der Gesellschaft einzuschränken, reagiert die Kunstwelt recht schnell.
Gäbe es aber nur politische Kunst, müsste man sie wohl Propaganda nennen.
BB: Sind deine Arbeitskollegen eher politische Künstler oder eher unpolitische?
SG: Eher politisch. Dennoch ist mein privater Kreis politisierter. Die sind extrem politisch. Obwohl auch viele meiner Freunde KünstlerInnen sind. So leicht ist es wohl nicht zu trennen.
BB: Du hattest wie viele andere Künstler internationale Residencies, zuletzt in Glasgow.
SG: Genau. In Glasgow hab‘ ich total viel vom Brexit mitbekommen. Obwohl ich in meiner kleinen Bubble war, weil ich eine Ausstellung fertigstellen musste. Die Schotten sind sehr über den Brexit verärgert und die jungen Schotten sind beunruhigt. Für sie fallen jetzt viele Chancen weg. Die Anbindung an Europa ist für Schottland und die schottische Kunst sehr wichtig und da sich die meisten Schotten nicht wirklich mit England identifizieren können ist der Zugang zu Europa für sie auch eine Form von Freiheit.
BB: Mit Béton Bleu gehe ich vor allem der Frage nach, welchen Einfluss die EU-Kulturpolitik auf Künstler hat. Wo macht sich die EU bei dir bemerkbar?
SG: Schwierig. Einerseits denke ich bei deiner Frage vor allem an strukturelle Aspekte. Andererseits fühle ich mich sehr europäisch. Die EU macht für mich sowohl als Künstler als auch menschlich einen Unterschied. Inspiration findet man ja nicht nur in heimischen Museen, sondern auch bei Reisen im Ausland.
BB: Könntest du dir deinen Alltag als Künstler vorstellen, wenn die EU wegfallen würde?
SG: Meine Kunst wäre wahrscheinlich dieselbe, aber ich würde ohne die Strukturen der Globalisierung in meinem beruflichen Alltag total behindert werden. Es würden so viele Medien, Materialien oder auch Techniken wegfallen, mit denen ich arbeite. Was wäre ich ohne Photoshop, Chinatusche, handgeschöpftem Papier, englischen Aquarellfarben, meinem Laptop oder dem Schokoriegel zwischendurch? Die EU koordiniert die Globalisierung für uns.
BB: Du hast französisch-österreichisch-algerische Wurzeln. Kommt vielleicht auch daher die Verbindung zum Europatum?
SG: Gute Frage. Ich bin im österreichischen Klagenfurt geboren und in der französischen Stadt Reims aufgewachsen, etwas östlich von Paris. Meine Mutter ist Österreicherin, mein Vater Franzose und seine Eltern wiederum sind während des Bürgerkriegs in Algerien nach Frankreich geflüchtet. Aber als sich meine Eltern trennten, zog ich mit meiner Mutter auf den Bauernhof meiner Großeltern nach Kärnten zurück. Meine Mutter wollte weiterhin mit mir Französisch sprechen aber als Kind lehnte ich das total ab.
BB: Wenn du nicht in Frankreich, sondern in Bulgarien oder Kroatien aufgewachsen wärst, würde man sagen, du hast einen Migrationshintergrund.
SG: So hab ich das noch nie gesehen. Aber es stimmt vermutlich. Mein Großvater und seine Vorfahren sprachen alle Slowenisch, das ist ja auch eine slawische Sprache. Er wollte das aber eigentlich nicht zugeben, und ich denke das war so aufgrund seiner Erlebnisse während des Zweiten Weltkriegs.
BB: Wie viele andere Künstler hast auch du internationale Residencies gemacht, die vom Staat finanziert werden. Auch das ist Kulturpolitik. Wie politisch ist diese “Internationalität” wirklich?
SG: Ich glaube, man muss hier zwischen zwei Perspektiven differenzieren: Geht es um die Künstler und ihre persönliche Weiterentwicklung? Oder geht es um die Repräsentation eines Landes durch einen Kunstschaffenden? Ich finde es einerseits großartig, dass es sowas wie internationale Residencies gibt. Toll, dass man internationale Arbeitserfahrung sammeln und sein Netzwerk erweitern kann! Trotzdem finde ich es sehr problematisch, dass die „cultural governance“ vieler Staaten und Kommunen diese Residencies als Qualitätsmerkmal wertet. Als Künstler ist man oft auch mehr Werkzeug, als Mensch. Andererseits ist es aber klar, dass es auf beiden Seiten einen Vorteil geben muss.
BB: Wodurch sind Residencies denn überhaupt so beliebt, sowohl bei Staaten wie den Künstlern?
SG: Weil sie natürlich einerseits tolle Erfahrungen mit sich bringen, andererseits aber auch als Qualitätsmerksmal dienen. Gleichzeit sind sind sie jedoch keine Voraussetzung, um sich als Künstler “zu finden“. In Österreich gilt aber noch immer noch das alte Sprichwort:„Schafft man’s mal im Ausland, schafft man’s auch hier“. Aber wenn internationale Stationen Bedingung für weitere Förderungen sind, dann werden nur die gefördert, die ohnehin wegen vorheriger Förderungen Erfolge im Ausland verbuchen können. Es gibt also sowas wie eine „Förderschere“, die immer krasser auseinanderklafft. Diese Logik der Kulturpolitik finde ich sehr schwierig.
BB: Obwohl du selbst regelmäßig im Ausland arbeitest.
SG: Genau deswegen.
BB: Wenn du etwas von der (EU)-Politik für den Kunstbetrieb einfordern würdest: Was wäre das?
SG: Mehr Reisekostenunterstüzung, mehr Austauschprogramme und eine Art von Hilfe oder Unterstützung bei Studio-Exchange. Das ist nur so eine Idee von mir, aber ich würde es großartig finden, mit anderen Künstlern mein Atelier und meine Wohnung tauschen zu können. Das wäre wie eine Real-Life-Recidency und keine Kulturblase wie sonst so oft.
BB: Investiert die EU genug in Kultur?
SG: Auf einer Skala von 1 bis 10 würde ich eine unterdurchschnittliche 3 geben, was die Finanzierung angeht. Es gibt ein paar Initiativen, um den Kultursektor finanziell zu unterstützen, aber bei weitem nicht genug. Ich kenne eigentlich nur eine einzige Anlaufstelle für Reisekostenunterstützung innerhalb der EU und eine Förderung die sich an sehr große Projekte richtet, die Kunst und Wissenschaft verbindet. Aber eine niedrigschwellige Förderung, die interkulturelle Projekte fördert und zum Beispiel bei der Unterstützung von Gruppenausstellungen mit europäischen Künstlern unterstützt, fehlt meines Wissens vollkommen. Ziemlich erschreckend eigentlich.
BB: Simon, vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Ana-Marija Cvitic
(C) 29/01/2020